Entscheidungen zum Verkehrsrecht
Landgericht Mühlhausen, Beschluss vom 28. März 2024, 4 Qs 5/24 1. Die Ausnahmevorschrift des § 467 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 StPO, wonach davon abgesehen werden kann, die notwendigen Auslagen eines Betroffenen der Staatskasse aufzuerlegen, wenn er nur deshalb nicht verurteilt wird, ein Verfahrenshindernis besteht, ist eng auszulegen. Insoweit kommt es auf eine nach einer (vollständig) durchgeführten Hauptverhandlung festgestellte „Schuldspruchreife“ an, was schon aus Gründen der Rechtssicherheit und aus dem Gebot des fairen Verfahrens angezeigt ist. Zudem zeigt die forensische Erfahrung, dass das sich in den Akten und insbesondere in einfach gehaltenen polizeilichen Zeugenvernehmungen abzeichnende Bild in einer Hauptverhandlung nur selten in Gänze Bestand hat. 2. Zu dem (vermeintlichen) Vorliegen eines genügenden Verdachtsgrades muss sich noch die gerichtliche Ermessensentscheidung über die „Unbilligkeit“ der Auslagenüberbürdung auf die Staatskasse anschließen. 3. Hier: Aufhebung einer erstinstanzlichen Entscheidung, wonach die Betroffene ihre Auslagen selbst zu tragen hat, weil das Verfahrenshindernis eingetreten ist, bevor – aus Gründen, die außerhalb des Einflussbereichs der Betroffenen lagen – eine Hauptverhandlung durchgeführt wurde und Gericht und Verteidigung eine Hinterfragungsmöglichkeit hinsichtlich der Aussagen der Zeugen hatten. LG_Mühlhausen_4_Qs_5-24.pdf (1.02MB) |
Landgericht Mühlhausen, Beschluss vom 28. März 2024, 4 Qs 5/24
1. Die Ausnahmevorschrift des § 467 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 StPO, wonach davon abgesehen werden kann, die notwendigen Auslagen eines Betroffenen der Staatskasse aufzuerlegen, wenn er nur deshalb nicht verurteilt wird, ein Verfahrenshindernis besteht, ist eng auszulegen. Insoweit kommt es auf eine nach einer (vollständig) durchgeführten Hauptverhandlung festgestellte „Schuldspruchreife“ an, was schon aus Gründen der Rechtssicherheit und aus dem Gebot des fairen Verfahrens angezeigt ist. Zudem zeigt die forensische Erfahrung, dass das sich in den Akten und insbesondere in einfach gehaltenen polizeilichen Zeugenvernehmungen abzeichnende Bild in einer Hauptverhandlung nur selten in Gänze Bestand hat. 2. Zu dem (vermeintlichen) Vorliegen eines genügenden Verdachtsgrades muss sich noch die gerichtliche Ermessensentscheidung über die „Unbilligkeit“ der Auslagenüberbürdung auf die Staatskasse anschließen. 3. Hier: Aufhebung einer erstinstanzlichen Entscheidung, wonach die Betroffene ihre Auslagen selbst zu tragen hat, weil das Verfahrenshindernis eingetreten ist, bevor – aus Gründen, die außerhalb des Einflussbereichs der Betroffenen lagen – eine Hauptverhandlung durchgeführt wurde und Gericht und Verteidigung eine Hinterfragungsmöglichkeit hinsichtlich der Aussagen der Zeugen hatten.
1. Die Ausnahmevorschrift des § 467 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 StPO, wonach davon abgesehen werden kann, die notwendigen Auslagen eines Betroffenen der Staatskasse aufzuerlegen, wenn er nur deshalb nicht verurteilt wird, ein Verfahrenshindernis besteht, ist eng auszulegen. Insoweit kommt es auf eine nach einer (vollständig) durchgeführten Hauptverhandlung festgestellte „Schuldspruchreife“ an, was schon aus Gründen der Rechtssicherheit und aus dem Gebot des fairen Verfahrens angezeigt ist. Zudem zeigt die forensische Erfahrung, dass das sich in den Akten und insbesondere in einfach gehaltenen polizeilichen Zeugenvernehmungen abzeichnende Bild in einer Hauptverhandlung nur selten in Gänze Bestand hat. 2. Zu dem (vermeintlichen) Vorliegen eines genügenden Verdachtsgrades muss sich noch die gerichtliche Ermessensentscheidung über die „Unbilligkeit“ der Auslagenüberbürdung auf die Staatskasse anschließen. 3. Hier: Aufhebung einer erstinstanzlichen Entscheidung, wonach die Betroffene ihre Auslagen selbst zu tragen hat, weil das Verfahrenshindernis eingetreten ist, bevor – aus Gründen, die außerhalb des Einflussbereichs der Betroffenen lagen – eine Hauptverhandlung durchgeführt wurde und Gericht und Verteidigung eine Hinterfragungsmöglichkeit hinsichtlich der Aussagen der Zeugen hatten.
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Landgericht Mühlhausen, Beschluss vom 14. Dezember 2023, 4 Qs 171/23 1. Gegen einen Beschluss des Amtsgerichts, mit dem nicht – wie geboten – über den Antrag auf gerichtliche Entscheidung des Betroffenen gegen den Bescheid der Verwaltungsbehörde über die Verwerfung des Einspruchs gegen den Bußgeldbescheid entschieden wurde, sondern über den parallel mit dem Einspruch angebrachten Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, ist nach § 46 Abs. 1 OWiG i.V.m. § 46 Abs. 3 StPO die sofortige Beschwerde statthaft; die Vorschrift des § 62 Abs. 2 Satz 3 OWiG greift in diesem Fall nicht. 2. Es ist von Amts wegen Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, wenn das Gericht die Pflicht zur Benachrichtigung des Verteidigers nach § 145a Abs. 3 Satz 2 StPO verletzt, die dazu dient, dem bevollmächtigten Verteidiger die Fristenkontrolle zu übertragen. 3. Die Entscheidung des Amtsgerichts ist vollständig aufzuheben, wenn dieses sachlich unzuständig über einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand entschieden hat, über den die Verwaltungsbehörde zu entscheiden gehabt hätte. LG_Mühlhausen_4_Qs_171-23.pdf (1.56MB) |
Landgericht Mühlhausen, Beschluss vom 14. Dezember 2023, 4 Qs 171/23
1. Gegen einen Beschluss des Amtsgerichts, mit dem nicht – wie geboten – über den Antrag auf gerichtliche Entscheidung des Betroffenen gegen den Bescheid der Verwaltungsbehörde über die Verwerfung des Einspruchs gegen den Bußgeldbescheid entschieden wurde, sondern über den parallel mit dem Einspruch angebrachten Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, ist nach § 46 Abs. 1 OWiG i.V.m. § 46 Abs. 3 StPO die sofortige Beschwerde statthaft; die Vorschrift des § 62 Abs. 2 Satz 3 OWiG greift in diesem Fall nicht. 2. Es ist von Amts wegen Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, wenn das Gericht die Pflicht zur Benachrichtigung des Verteidigers nach § 145a Abs. 3 Satz 2 StPO verletzt, die dazu dient, dem bevollmächtigten Verteidiger die Fristenkontrolle zu übertragen. 3. Die Entscheidung des Amtsgerichts ist vollständig aufzuheben, wenn dieses sachlich unzuständig über einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand entschieden hat, über den die Verwaltungsbehörde zu entscheiden gehabt hätte.
1. Gegen einen Beschluss des Amtsgerichts, mit dem nicht – wie geboten – über den Antrag auf gerichtliche Entscheidung des Betroffenen gegen den Bescheid der Verwaltungsbehörde über die Verwerfung des Einspruchs gegen den Bußgeldbescheid entschieden wurde, sondern über den parallel mit dem Einspruch angebrachten Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, ist nach § 46 Abs. 1 OWiG i.V.m. § 46 Abs. 3 StPO die sofortige Beschwerde statthaft; die Vorschrift des § 62 Abs. 2 Satz 3 OWiG greift in diesem Fall nicht. 2. Es ist von Amts wegen Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, wenn das Gericht die Pflicht zur Benachrichtigung des Verteidigers nach § 145a Abs. 3 Satz 2 StPO verletzt, die dazu dient, dem bevollmächtigten Verteidiger die Fristenkontrolle zu übertragen. 3. Die Entscheidung des Amtsgerichts ist vollständig aufzuheben, wenn dieses sachlich unzuständig über einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand entschieden hat, über den die Verwaltungsbehörde zu entscheiden gehabt hätte.
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Amtsgericht Nordhausen, Beschluss vom 12. Juli 2023, 34 OWi 275/23 Aus dem Recht auf ein faires Verfahren folgt ein Anspruch auf Zugang auch zu nicht bei der Bußgeldakte befindlichen, aber bei der Bußgeldbehörde vorhandenen Informationen. Daher sind Lebensakte, Schulungsnachweis, Rohmessdaten, gesamte Messreihe und Bedienungsanleitung der Verteidigung selbst dann zur Verfügung zu stellen, wenn (noch) keine konkreten Anhaltspunkte für Messfehler vorliegen oder vorgetragen worden sind. AG_Nordhausen_34_OWi_275-23.pdf (1.35MB) |
Amtsgericht Nordhausen, Beschluss vom 12. Juli 2023, 34 OWi 275/23
Aus dem Recht auf ein faires Verfahren folgt ein Anspruch auf Zugang auch zu nicht bei der Bußgeldakte befindlichen, aber bei der Bußgeldbehörde vorhandenen Informationen. Daher sind Lebensakte, Schulungsnachweis, Rohmessdaten, gesamte Messreihe und Bedienungsanleitung der Verteidigung selbst dann zur Verfügung zu stellen, wenn (noch) keine konkreten Anhaltspunkte für Messfehler vorliegen oder vorgetragen worden sind.
Aus dem Recht auf ein faires Verfahren folgt ein Anspruch auf Zugang auch zu nicht bei der Bußgeldakte befindlichen, aber bei der Bußgeldbehörde vorhandenen Informationen. Daher sind Lebensakte, Schulungsnachweis, Rohmessdaten, gesamte Messreihe und Bedienungsanleitung der Verteidigung selbst dann zur Verfügung zu stellen, wenn (noch) keine konkreten Anhaltspunkte für Messfehler vorliegen oder vorgetragen worden sind.
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Thüringer Oberlandesgericht, Beschluss vom 27. Juni 2023, 1 ORbs 121 SsBs 60/23 Das Urteil in einer Bußgeldsache unterliegt bereits auf die Sachrüge der Aufhebung, wenn mangels konkreter Tenorierung nicht ersichtlich ist, wegen welches Tatvorwurfs eine Verurteilung erfolgt ist; die Verurteilung „zur Zahlung einer Geldbuße“ genügt nicht den Anforderungen des § 260 Abs. 4 Satz 1, Satz 2 StPO (Anschluss an Thüringer Oberlandesgericht, Beschluss vom 23. September 2010, 1 SsBs 17/11). OLG_Jena_1_ORbs_121_SsBs_60-23.pdf (912.21KB) |
Thüringer Oberlandesgericht, Beschluss vom 27. Juni 2023, 1 ORbs 121 SsBs 60/23
Das Urteil in einer Bußgeldsache unterliegt bereits auf die Sachrüge der Aufhebung, wenn mangels konkreter Tenorierung nicht ersichtlich ist, wegen welches Tatvorwurfs eine Verurteilung erfolgt ist; die Verurteilung „zur Zahlung einer Geldbuße“ genügt nicht den Anforderungen des § 260 Abs. 4 Satz 1, Satz 2 StPO (Anschluss an Thüringer Oberlandesgericht, Beschluss vom 23. September 2010, 1 SsBs 17/11).
Das Urteil in einer Bußgeldsache unterliegt bereits auf die Sachrüge der Aufhebung, wenn mangels konkreter Tenorierung nicht ersichtlich ist, wegen welches Tatvorwurfs eine Verurteilung erfolgt ist; die Verurteilung „zur Zahlung einer Geldbuße“ genügt nicht den Anforderungen des § 260 Abs. 4 Satz 1, Satz 2 StPO (Anschluss an Thüringer Oberlandesgericht, Beschluss vom 23. September 2010, 1 SsBs 17/11).
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Kammergericht, Beschluss vom 14. Juni 2023, 3 ORbs 108/23 - 162 Ss 51/23 1. Die Gewährung von Wiedereinsetzung in den vorigen Stand kann dazu führen, dass mit der Entscheidung über die Wiedereinsetzung die Frist zur Verfolgungsverjährung erneut zu laufen beginnt. Das setzt jedoch voraus, dass der Bußgeldbescheid bereits vor der Gewährung von Wiedereinsetzung in den vorigen Stand und vor Eintritt der Verfolgungsverjährung tatsächlich in Rechtskraft erwachsen war (Anschluss an OLG Karlsruhe, Beschluss vom 9. April 2019, 1 Rb 7 Ss 39/19). 2. Hier: Fall der Verwerfung eines Einspruchs gegen den Bußgeldbescheid, obwohl der Betroffene innerhalb der Einspruchsfrist einen Antrag auf Ratenzahlung und "Umwandlung des Fahrverbotes", der als Einspruch gegen den Bußgeldbescheid auszulegen war, gestellt hatte. KG_3_ORbs_108-23.pdf (1.62MB) |
Kammergericht, Beschluss vom 14. Juni 2023, 3 ORbs 108/23 - 162 Ss 51/23
1. Die Gewährung von Wiedereinsetzung in den vorigen Stand kann dazu führen, dass mit der Entscheidung über die Wiedereinsetzung die Frist zur Verfolgungsverjährung erneut zu laufen beginnt. Das setzt jedoch voraus, dass der Bußgeldbescheid bereits vor der Gewährung von Wiedereinsetzung in den vorigen Stand und vor Eintritt der Verfolgungsverjährung tatsächlich in Rechtskraft erwachsen war (Anschluss an OLG Karlsruhe, Beschluss vom 9. April 2019, 1 Rb 7 Ss 39/19). 2. Hier: Fall der Verwerfung eines Einspruchs gegen den Bußgeldbescheid, obwohl der Betroffene innerhalb der Einspruchsfrist einen Antrag auf Ratenzahlung und "Umwandlung des Fahrverbotes", der als Einspruch gegen den Bußgeldbescheid auszulegen war, gestellt hatte.
1. Die Gewährung von Wiedereinsetzung in den vorigen Stand kann dazu führen, dass mit der Entscheidung über die Wiedereinsetzung die Frist zur Verfolgungsverjährung erneut zu laufen beginnt. Das setzt jedoch voraus, dass der Bußgeldbescheid bereits vor der Gewährung von Wiedereinsetzung in den vorigen Stand und vor Eintritt der Verfolgungsverjährung tatsächlich in Rechtskraft erwachsen war (Anschluss an OLG Karlsruhe, Beschluss vom 9. April 2019, 1 Rb 7 Ss 39/19). 2. Hier: Fall der Verwerfung eines Einspruchs gegen den Bußgeldbescheid, obwohl der Betroffene innerhalb der Einspruchsfrist einen Antrag auf Ratenzahlung und "Umwandlung des Fahrverbotes", der als Einspruch gegen den Bußgeldbescheid auszulegen war, gestellt hatte.
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Amtsgericht Herzberg, Beschluss vom 11. November 2021, 3 OWi 511/21 1. Der Postzustellungsurkunde kommt die volle Beweiskraft einer öffentlichen Urkunde zu. Allerdings kann der hierdurch begründete Beweis nach § 418 Abs. 2 ZPO durch Gegenbeweis entkräftet werden, wobei die Rechtzeitigkeit des Einspruchs zur vollen Überzeugung des Gerichts im Freibeweis bewiesen werden muss. 2. Am Nachweis der Zustellung eines Bußgeldbescheides im Wege der Ersatzzustellung durch Einlegen in den Briefkasten können Zweifel bestehen, wenn der Betroffene durch Darlegung der einzelnen Umstände und der Vorlage einer eidesstattlichen Versicherung einer weiter im Haushalt lebenden Person einen anderen Geschehensablauf glaubhaft macht. Die bestehenden Zweifel führen dazu, dass der Nachweis der Zustellung erschüttert wurde und die Beweiskraft der öffentlichen Urkunde nicht mehr gegeben ist. 3. Hier: Gerichtliche Aufhebung eines Bescheides der Verwaltungsbehörde über die Verwerfung des Einspruchs wegen vermeintlicher Versäumung der Einspruchsfrist, wenn der Bußgeldbescheid durch Einlegen in den Briefkasten zugestellt worden sein soll, der Postzusteller zum fraglichen Zustellzeitpunkt jedoch keinen Zustellversuch unternommen hat. AG_Herzberg_3_OWi_511-21.pdf (400.27KB) |
Amtsgericht Herzberg, Beschluss vom 11. November 2021, 3 OWi 511/21
1. Der Postzustellungsurkunde kommt die volle Beweiskraft einer öffentlichen Urkunde zu. Allerdings kann der hierdurch begründete Beweis nach § 418 Abs. 2 ZPO durch Gegenbeweis entkräftet werden, wobei die Rechtzeitigkeit des Einspruchs zur vollen Überzeugung des Gerichts im Freibeweis bewiesen werden muss. 2. Am Nachweis der Zustellung eines Bußgeldbescheides im Wege der Ersatzzustellung durch Einlegen in den Briefkasten können Zweifel bestehen, wenn der Betroffene durch Darlegung der einzelnen Umstände und der Vorlage einer eidesstattlichen Versicherung einer weiter im Haushalt lebenden Person einen anderen Geschehensablauf glaubhaft macht. Die bestehenden Zweifel führen dazu, dass der Nachweis der Zustellung erschüttert wurde und die Beweiskraft der öffentlichen Urkunde nicht mehr gegeben ist. 3. Hier: Gerichtliche Aufhebung eines Bescheides der Verwaltungsbehörde über die Verwerfung des Einspruchs wegen vermeintlicher Versäumung der Einspruchsfrist, wenn der Bußgeldbescheid durch Einlegen in den Briefkasten zugestellt worden sein soll, der Postzusteller zum fraglichen Zustellzeitpunkt jedoch keinen Zustellversuch unternommen hat.
1. Der Postzustellungsurkunde kommt die volle Beweiskraft einer öffentlichen Urkunde zu. Allerdings kann der hierdurch begründete Beweis nach § 418 Abs. 2 ZPO durch Gegenbeweis entkräftet werden, wobei die Rechtzeitigkeit des Einspruchs zur vollen Überzeugung des Gerichts im Freibeweis bewiesen werden muss. 2. Am Nachweis der Zustellung eines Bußgeldbescheides im Wege der Ersatzzustellung durch Einlegen in den Briefkasten können Zweifel bestehen, wenn der Betroffene durch Darlegung der einzelnen Umstände und der Vorlage einer eidesstattlichen Versicherung einer weiter im Haushalt lebenden Person einen anderen Geschehensablauf glaubhaft macht. Die bestehenden Zweifel führen dazu, dass der Nachweis der Zustellung erschüttert wurde und die Beweiskraft der öffentlichen Urkunde nicht mehr gegeben ist. 3. Hier: Gerichtliche Aufhebung eines Bescheides der Verwaltungsbehörde über die Verwerfung des Einspruchs wegen vermeintlicher Versäumung der Einspruchsfrist, wenn der Bußgeldbescheid durch Einlegen in den Briefkasten zugestellt worden sein soll, der Postzusteller zum fraglichen Zustellzeitpunkt jedoch keinen Zustellversuch unternommen hat.
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Kammergericht, Beschluss vom 11. Februar 2019, 3 Ws (B) 9/19 - 162 Ss 151/18 Der Einspruch gegen einen Bußgeldbescheid darf nur dann nach § 74 Abs. 2 OWiG verworfen werden, wenn sich das Amtsgericht die Überzeugung verschafft hat, dass eine genügende Entschuldigung nicht vorliegt. In den Fällen einer Erkrankung ist das Ausbleiben nicht erst dann entschuldigt, wenn der Betroffene verhandlungsunfähig ist; es genügt, dass ihm infolge der Erkrankung das Erscheinen vor Gericht nicht zuzumuten ist. Liegen Anhaltspunkte für eine genügende Entschuldigung vor, hat sich das Gericht um Aufklärung zu bemühen, etwa durch Anruf beim Aussteller eines ärztlichen Attestes. Wenn das Gericht dennoch meint, einem Betroffenen sei trotz attestierter Arbeitsunfähigkeit das Erscheinen in der Hauptverhandlung zumutbar, muss es im Urteil darlegen, warum es von der Unrichtigkeit des Attests überzeugt ist oder warum es die Krankheit in ihren Auswirkungen für so unbedeutend hält, dass sie einer Teilnahme an der Hauptverhandlung nicht entgegensteht. _333_17_KG_11_02_2019.pdf (1.21MB) |
Kammergericht, Beschluss vom 11. Februar 2019, 3 Ws (B) 9/19 - 162 Ss 151/18
Der Einspruch gegen einen Bußgeldbescheid darf nur dann nach § 74 Abs. 2 OWiG verworfen werden, wenn sich das Amtsgericht die Überzeugung verschafft hat, dass eine genügende Entschuldigung nicht vorliegt. In den Fällen einer Erkrankung ist das Ausbleiben nicht erst dann entschuldigt, wenn der Betroffene verhandlungsunfähig ist; es genügt, dass ihm infolge der Erkrankung das Erscheinen vor Gericht nicht zuzumuten ist. Liegen Anhaltspunkte für eine genügende Entschuldigung vor, hat sich das Gericht um Aufklärung zu bemühen, etwa durch Anruf beim Aussteller eines ärztlichen Attestes. Wenn das Gericht dennoch meint, einem Betroffenen sei trotz attestierter Arbeitsunfähigkeit das Erscheinen in der Hauptverhandlung zumutbar, muss es im Urteil darlegen, warum es von der Unrichtigkeit des Attests überzeugt ist oder warum es die Krankheit in ihren Auswirkungen für so unbedeutend hält, dass sie einer Teilnahme an der Hauptverhandlung nicht entgegensteht.
Der Einspruch gegen einen Bußgeldbescheid darf nur dann nach § 74 Abs. 2 OWiG verworfen werden, wenn sich das Amtsgericht die Überzeugung verschafft hat, dass eine genügende Entschuldigung nicht vorliegt. In den Fällen einer Erkrankung ist das Ausbleiben nicht erst dann entschuldigt, wenn der Betroffene verhandlungsunfähig ist; es genügt, dass ihm infolge der Erkrankung das Erscheinen vor Gericht nicht zuzumuten ist. Liegen Anhaltspunkte für eine genügende Entschuldigung vor, hat sich das Gericht um Aufklärung zu bemühen, etwa durch Anruf beim Aussteller eines ärztlichen Attestes. Wenn das Gericht dennoch meint, einem Betroffenen sei trotz attestierter Arbeitsunfähigkeit das Erscheinen in der Hauptverhandlung zumutbar, muss es im Urteil darlegen, warum es von der Unrichtigkeit des Attests überzeugt ist oder warum es die Krankheit in ihren Auswirkungen für so unbedeutend hält, dass sie einer Teilnahme an der Hauptverhandlung nicht entgegensteht.
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Verwaltungsgericht Weimar, Beschluss vom 12. September 2018, 1 E 1548/18 We 1. Die Begründung der sofortigen Vollziehung nach § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO im Rahmen einer Fahrtenbuchauflage, die Anordnung liege im öffentlichen Interesse, genügt den an sie zu stellenden Anforderungen nicht. Zur ordnungsgemäßen Begründung muss erkennbar sein, dass die Vollzugsbegründung von der allgemeinen Begründung des Verwaltungsaktes abgehoben ist. 2. Wenn die Hauptsache faktisch vorweggenommen wird, ist keine Reduzierung des Streitwerts vorzunehmen. __171_18VGWeimar_12_09_2018.pdf (849.78KB) |
Verwaltungsgericht Weimar, Beschluss vom 12. September 2018, 1 E 1548/18 We
1. Die Begründung der sofortigen Vollziehung nach § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO im Rahmen einer Fahrtenbuchauflage, die Anordnung liege im öffentlichen Interesse, genügt den an sie zu stellenden Anforderungen nicht. Zur ordnungsgemäßen Begründung muss erkennbar sein, dass die Vollzugsbegründung von der allgemeinen Begründung des Verwaltungsaktes abgehoben ist. 2. Wenn die Hauptsache faktisch vorweggenommen wird, ist keine Reduzierung des Streitwerts vorzunehmen.
1. Die Begründung der sofortigen Vollziehung nach § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO im Rahmen einer Fahrtenbuchauflage, die Anordnung liege im öffentlichen Interesse, genügt den an sie zu stellenden Anforderungen nicht. Zur ordnungsgemäßen Begründung muss erkennbar sein, dass die Vollzugsbegründung von der allgemeinen Begründung des Verwaltungsaktes abgehoben ist. 2. Wenn die Hauptsache faktisch vorweggenommen wird, ist keine Reduzierung des Streitwerts vorzunehmen.
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